Landgericht Urteil im VW Abgasskandal

VW-Abgasskandal: Landgericht Aachen verurteilt VW-Vertragshändler zur Rücknahme eins manipulierten Tiguan

Aachen/Trier. Das Landgericht Aachen hat mit Urteil vom 06.12.2016, Az. 10 O 146/16 einen VW-Vertragshändler aus Aachen zur Rücknahme eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Tiguan verurteilt. Das Fahrzeug ist nach Überzeugung des Gerichts mangelhaft. Denn der verbaute Motor hält die gesetzlichen Vorgaben nur deshalb ein, weil eine Software verbaut ist, die im Prüfstandlauf regulierend einwirkt und die Motorsteuerung in einen NOx-optimierten Modus schaltet.

Erhebliche Pflichtverletzung, die zum Rücktritt berechtigt

Ferner stellt das Gericht fest, dass es sich hierbei um eine erhebliche Pflichtverletzung handelt, die es dem Käufer ermöglicht, vom Kaufvertrag zurückzutreten. Denn für den Käufer war nicht abzusehen, ob die Korrektur der Manipulationssoftware negative Auswirkungen auf die übrigen Emissionswerte, den Kraftstoffverbrauch und die Motorleistung haben würde und ob die umfassende Berichterstattung zum Abgasskandal sich negativ auf den zu erzielenden Wiederverkaufspreis auswirken werde:

„Hinzukommt, dass derzeit noch nicht abzusehen ist, ob sich allein durch die Betroffenheit des klägerischen Fahrzeugs vom Abgasskandal ein merkantiler Minderwert für den streitgegenständlichen Tiguan realisieren wird. Im Hinblick auf die umfassende Berichterstattung zum sog. Abgasskandal und die sich daraus in der Öffentlichkeit ergebenen kontroversen Diskussionen, auch über einen etwaigen Mehrverbrauch nach durchgeführter Nachbesserung, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass sich dies auf den im Falle eines Verkaufs zu erzielenden Wiederverkaufspreis negativ auswirkt. Dieser Bewertung stünde auch nicht entgegen, wenn die gegenteilige Behauptung der Beklagten, die Auswirkungen auf den Gebrauchtwagenmarkt vehement verneint, derzeit zuträfe. Insoweit ist allgemein bekannt, dass sich wertnachteilige Umstände auch erst mit zeitlicher Verzögerung auswirken können, zumal vorliegend die Rückrufaktion erst Mitte 2016 angelaufen ist.“

Nachfrist nicht zwingend erforderlich

Ähnlich wie das Landgericht München II kommt auch das Landgericht Aachen zu dem Ergebnis, dass der Käufer dem Autohaus jedenfalls dann keine Frist zur Nacherfüllung setzten muss, wenn das Autohaus eine Nachbesserung ernsthaft und endgültig ablehnt und den Käufer auf die VW-Rückrufaktion verweist.

Käufer verliert seine Rechte nicht durch Teilnahme an der Rückrufaktion

Soweit ersichtlich beschäftigt sich das LG Aachen erstmals mit der Frage, ob die Teilnahme an der Rückrufaktion dazu führt, dass der Käufer sich nicht mehr auf seinen erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag berufen kann. So argumentierte nämlich das verklagte Autohaus: Die Durchführung des Software-Updates führe dazu, dass sich der Käufer nicht mehr auf den erklärten Rücktritt berufen können. Ein solches Verhalten verstoße gegen Treu und Glauben. Hierzu erklärte Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen aus Trier:

„Die betrogenen Autokäufer nehmen an der Rückrufaktion teil, weil sie von Volkswagen dazu aufgefordert werden. Anderenfalls – so wird ihnen von VW erklärt – drohe der Entzug der Betriebserlaubnis. Deshalb ist es ein weiterer Skandal im Skandal, wenn dem betrogenen Autokäufer dann von einem VW-Vertragshändler Rechtsmissbrauch unterstellt wird, nur weil er das tut, was VW von ihm verlangt.“

So sah es auch das LG Aachen:

„Der Kläger war gerade nicht frei in seiner Entscheidung, das Software-Update aufspielen zu lassen. Denn in dem durch den Kläger vorgelegten Informationsschreiben des VW Konzerns vom Juli 2016 wurde dem Kläger deutlich gemacht, dass bei Nicht-Teilnahme an der Rückrufaktion eine Betriebsuntersagung gemäß § 5 FZV erfolgen könne. Um dem Entzug der Betriebserlaubnis zu entgehen und um sein Fahrzeug weiter nutzen zu können, war der Kläger gezwungen, entsprechend der Aufforderung des Herstellers und auch der Beklagten zu agieren. Gleichermaßen hätte das klägerische Fahrzeug bei einer Verweigerung des Updates nicht die Anforderungen der Euro-5-Abgasnorm erfüllt, sodass dem Kläger im Rahmen der nächsten Abgasuntersuchung der Entzug der Grünen Plakette gedroht hätte.“

Das Urteil wurde von der Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig Rechtsanwälte PartG mbB aus Trier erstritten. Die Kanzlei ist eine der führenden Kanzleien im VW Abgasskandal und berät und vertritt bundesweit ca. 600 Geschädigte im VW-Abgasskandal.