EuGH-Urteil: deutsches Kreditrecht ist europarechtswidrig

EuGH-Urteil: deutsches Kreditrecht ist europarechtswidrig – Entlastung für deutsche Kreditnehmer in Milliardenhöhe

Unter Juristen ist es seit Jahren ein offenes Geheimnis: die deutschen Banken belehren Verbraucher beim Abschluss von Krediten wie insbesondere Immobiliendarlehen oder Autofinanzierungen falsch. Bei nahezu allen Verträgen, die ab dem 11.06.2010 abgeschlossen wurden, wird insbesondere unzureichend über den Beginn der Widerrufsfrist belehrt.

Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH ) in Luxemburg jetzt mit Urteil vom 26.03.2020 (Az. C-66/19) abschließend entschieden und dem deutschen Bundesgerichtshof (BGH) damit höchstrichterlich attestiert, die Rechte der deutschen Verbraucher über Jahre hinweg europarechtswidrig empfindlich beschnitten zu haben. Experten sprechen schon jetzt von einer nie dagewesenen Niederlage für die Karlsruher Richter. Allein der bisherige Schaden für die deutschen Verbraucher dürfte sich im dreistelligen Millionenbereich bewegen.

Welche Vertragsklausel ist von dem EuGH-Urteil betroffen?

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Klauseln wie die folgende in Kreditverträgen europarechtswidrig:

„Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z.B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.“

Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen:

„Diese Klausel, die sich in nahezu jedem deutschen Kreditvertrag unter der Überschrift ‚Widerrufsrecht‘ befindet, ermöglicht es dem Verbraucher nicht zu bestimmen, wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt.“

Das können Kreditnehmer jetzt tun?

Alle Verbraucher sollten ihre ab 11.06.2010 geschlossenen Kreditverträge von einer auf das Verbraucherwiderrufsrecht spezialisierten Kanzlei prüfen lassen, und zwar bevor sie den Vertrag widerrufen. Das gilt insbesondere für die Finanzierungen von selbst genutzten Wohnimmobilien oder für Autokredite. Aber auch die Finanzierungen von vermieteten Mehrfamilienhäusern oder Gewerbeimmobilien können widerrufbar sein.

Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen:

„Kreditnehmer können durch die Ausübung ihres Widerrufsrechts viele tausend Euro sparen oder erstattet bekommen. Das gilt schon bei verhältnismäßig kleinen Darlehensbeträgen wie etwa bei der Autofinanzierung. Bei größeren Finanzierungen, wie etwa bei Immobilien, kann der wirtschaftliche Vorteil noch viel größer sein. In einem von unserer Kanzlei vor dem OLG Koblenz geführten und rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gegen eine Sparkasse bekam der Kläger 248.816,68 EUR erstattet.“

Können Sie Ihren Kreditvertrag widerrufen? Wir prüfen Ihren Vertrag kostenlos und unverbindlich.

Die Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig gehört mit mehreren Tausenden geführten Verfahren zu den bundesweit führenden Kanzleien zum Thema Widerruf von Kreditverträgen.

Unsere spezialisierten Anwälte bieten eine kostenlose und unverbindliche Ersteinschätzung zur Widerrufbarkeit aller Kreditverträge an, die ab dem 11.06.2010 abgeschlossen wurden. Zudem klären unsere Rechtsanwälte auf Wunsch auch, ob die Kosten für eine gerichtliche Durchsetzung von einer Rechtschutzversicherung übernommen werden.

Diese EuGH-Entscheidung war überfällig aber nicht überraschend

Dabei ist das EuGH-Urteil für Experten keineswegs überraschend. Zahlreiche deutsche Gerichte, auch Oberlandesgerichte haben die Rechtswidrigkeit der Belehrung schon früh bestätigt (OLG München, Urteil vom 21. Mai 2015, Az. 17 U 334/15; OLG Koblenz, Beschluss vom 15. Oktober 2015, Az. 8 U 241/15; OLG Nürnberg, Urteil vom 1. August 2016, Az. 14 U 1780/15).

Der deutsche Gesetzgeber hatte sogar schon 2009 erhebliche Bedenken, ob das gesetzliche Belehrungsmuster den europarechtlichen Anforderungen genügt. In der Bundestagsdrucksache 16/11643, Seite 164f. heißt es:

„Für die Vertragsangabe ist das Belehrungsmuster inhaltlich ungeeignet, da weder die Angaben über den Fristbeginn noch über die Folgen des Widerrufs im Muster mit den gesetzlichen Erfordernissen übereinstimmen.“

Für viele überraschend hat der BGH dann aber mit Urteil vom 22. November 2016 – Az. XI ZR 434/15 – entschieden, dass die Belehrung über den Fristbeginn angeblich doch „klar und verständlich“ sei. Trotz vielfacher Aufforderung hat sich der BGH über Jahre hinweg beharrlich geweigert, diese Frage dem EuGH zur abschließenden Klärung vorzulegen. Das kaum nachvollziehbare und gebetsmühlenartig wiederholte Argument der Karlsruher Richter: Europarechtliche Bedenken seien weit und breit nicht zu erkennen.

Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen:

„Der BGH wäre gemäß Art 267 AEUV zur Vorlage an den EuGH nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen. Warum er das nicht getan hat, warum er hier also nicht frühzeitig für eine höchstrichterliche Klärung gesorgt hat, sondern diese sogar aktiv verhindert hat, ist unerklärlich.“

Die jahrelang überfällige Vorlage erfolgte dann im Januar 2019 durch das Landgericht Saarbrücken. Die Saarbrücker Richter sind zwar nicht verpflichtet, aber berechtigt, den EuGH anzurufen. Das haben sie – sehr zum Missfallen der Karlsruher Bundesrichter – auch getan, weil sie erhebliche europarechtliche Bedenken an der verbraucherfeindlichen Rechtsprechung des BGH hatten.

Informierten Kreisen zufolge hat sich auch die EU-Kommission in einer nicht veröffentlichten Stellungnahme ebenfalls der Ansicht des LG Saarbrücken angeschlossen. Der EuGH hat sein Urteil – nach Anhörung der Generalanwältin – dann sogar erlassen, ohne die üblichen Schlussanträge der Generalanwältin anzufordern. Das ist nach Art 99 der Verfahrensordnung beim EuGH nur ganz ausnahmsweise möglich, nämlich nur, wenn die Antwort auf die Vorlagefrage

klar aus der Rechtsprechung [des EuGH] abgeleitet werden kann oder wenn die  Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt„.

Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen:

„Hier muss sich der BGH ganz unbequeme Fragen gefallen lassen. Wie kann es sein, dass der BGH weit und breit keine Bedenken an der Praxis der Banken erkennen kann, wenn andererseits der deutsche Gesetzgeber, viele Oberlandesgerichte, die EU-Kommission, die Generalanwältin und letztlich auch der EuGH übereinstimmend zu dem Ergebnis kommen, dass die deutsche Praxis nicht nur rechtswidrig ist, sondern so ‚klar‘ rechtswidrig ist, dass – wie der EuGH feststellt – ‚kein Raum für vernünftige Zweifel‘ besteht?“