Autokreditwiderruf – EuGH: Schlussanträge des Generalanwalts lassen Bankenwelt erzittern
Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) Gerard Hogan widerspricht der bankenfreundlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) – nahezu alle deutschen Autokreditverträge rechtsfehlerhaft
Es ist ein vielsprechender Lichtblick, der alle, die ihr Fahrzeug bei einer deutschen Autobank finanziert haben, in den Verfahren des EuGH, Az. C-33/20, C-155/20, C-187/20, am vergangenen Donnerstag, den 15.07.2021 aus Luxemburg erreicht hat. Denn zu diversen europarechtlich geprägten Rechtsfragen des Autokreditwiderrufs, die das Landgericht Ravensburg dem EuGH zur Klärung vorgelegt hatte, wurden nun die Schlussanträge des irischen Generalanwaltes Gerard Hogan veröffentlicht. Demnach dürften nahezu alle deutschen Autokreditverträge fehlerhaft sein. Sollten die Richter des EuGH den Schlussanträgen inhaltlich folgen, gibt es für die Autobanken keine Ausreden mehr!
Ordnungsgemäße Kundenbelehrungen – eine Pflicht der Banken
Banken sind gesetzlich verpflichtet, ihre Privatkunden bei der Vergabe von Krediten ordnungsgemäß über das Widerrufsrecht zu belehren. Daneben existieren eine Reihe von gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtangaben, über die Banken in Verbraucherkreditverträgen zutreffend aufklären müssen. Hierbei spielen insbesondere europäische Rechtsnormen und deren Reichweite eine entscheidende Rolle. Unterbleibt die Belehrung über das Widerrufsrecht oder erforderliche Pflichtangaben oder erfolgt sie unvollständig, kann der Finanzierungsvertrag grundsätzlich zeitlich unbefristet widerrufen werden.
Die Rechtsprechung zum Autokreditwiderruf
Zeigte sich die Rechtsprechung in Deutschland zunächst eher verbraucherfreundlich, hat sich das Blatt in den letzten Monaten aufgrund der Rechtsprechung des XI. Zivilsenat des BGH (sog. Bankensenat) etwas zu Gunsten der Banken gewendet.
Und das, obwohl entscheidende europarechtliche Rechtsfragen unter Verbraucheranwälten und in der Bankenwirtschaft stark umstritten und alles andere als eindeutig zu beantworten sind. Verbraucheranwälte betonen daher bereits seit längerem, dass der Bankensenat des BGH entscheidungserhebliche Rechtsfragen dem EuGH als höchstes Gericht in Europa zur finalen Klärung vorlegen solle. Hierzu sei der BGH als letztinstanzliches Zivilgericht in Deutschland (im Unterschied zu Land- oder Oberlandesgerichten) nicht nur berufen, sondern gesetzlich verpflichtet.
Denn in Artikel 267 Abs. 3 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) heißt es ausdrücklich: „Wird eine derartige Frage [über die Auslegung der Europäischen Verträge] in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.“
Die Richter des BGH haben jedoch von ihrer (rechtstheoretischen) Vorlageverpflichtung an den EuGH bislang (ggf. bewusst) keinen Gebrauch gemacht. Für Zweifel an der Beantwortung europarechtlich geprägter Rechtsfragen bestünde kein Raum, so der BGH in seinen gerichtlichen Entscheidungen.
„Unserer Meinung nach wäre der BGH in einer Reihe von Verfahren verpflichtet gewesen, diverse europarechtliche Rechtsfragen dem EuGH zur Klärung vorzulegen. Wir haben den entsprechenden Antrag in hunderten Verfahren gestellt und ausführlich begründet – leider bislang ohne Erfolg. Der Bankensenat des BGH hat mehrfach ausgeführt, er sehe keine Notwendigkeit die Richter des EuGH bei der Auslegung der Europäischen Verträge um Hilfe zu bitten. Die von Verbraucheranwälten aufgeworfenen europarechtlich geprägten Rechtsfragen seien klar und eindeutig zu beantworten. Für Zweifel an der Richtigkeit ihrer Rechtsprechung sahen die Karlsruher Richter keinen Raum. Im Ergebnis wohl zu Unrecht, wie sich jetzt aus den Schlussanträgen des Generalanwalts am EuGH, Gerard Hogan, ergibt.“
Rechtsanwalt Dirk Sinnig, Dr. Lehnen & Sinnig Rechtsanwälte.
Landgericht Ravensburg – ein Fels in der Brandung für den Verbraucherschutz
Zu verdanken haben Verbraucherschützer und Autokreditnehmer das Verfahren vor dem EuGH und die ergangenen Schlussanträge des Generalanwaltes dem Landgericht (LG) Ravensburg. Denn entgegen der Praxis des BGH und durchweg aller Oberlandesgerichte (OLG) hat die zweite Zivilkammer des LG Ravensburg von seiner Möglichkeit Gebrauch gemacht, dem EuGH diverse Rechtsfragen zum Autokreditwiderruf zur Beantwortung vorzulegen.
Generalanwalt widerspricht der Rechtsprechung des XI. Zivilsenat des BGH (Bankensenat)
In seinen Schlussanträgen vom 15.07.2021 hat der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Gerard Hogan, den gerichtlichen Entscheidungen des BGH nun im Ergebnis widersprochen. Denn die Fragen, die der BGH europarechtlich als klar und eindeutig zu Gunsten der deutschen Bankenwirtschaft beantwortet hat, wurden aus Luxemburg auf 33 Seiten vorläufig verbraucherfreundlich beurteilt.
„Die Schlussanträge des Generalanwalts am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg sind sehr erfreulich und decken sich im Ergebnis in vielen Teilen mit der von uns in hunderten Verfahren vertretenen Rechtsauffassung. Sollten die Richter des EuGH in ihrem am 09. September 2021 erwarteten Urteil den rechtlichen Ausführungen des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen folgen, würde dies bedeuten, dass nahezu alle deutschen Autokreditverträge rechtsfehlerhaft sind.“
Rechtsanwalt Dirk Sinnig
Die Schlussanträge des Generalanwalts inhaltlich auf den Punkt gebracht
Viele rechtliche Fragen, die der BGH und Oberlandesgerichte (OLG) in den letzten Monaten als „klar und eindeutig“ und ohne rechtlichen Zweifel oder ohne mündliche Verhandlung mit dem Hinweis, die Rechtssache habe „offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg“, zugunsten der Autobanken entschieden hatten, wurden vom Generalanwalt am EuGH nun zu Gunsten der Verbraucher beantwortet.
So muss z.B. der Verzugszins im Darlehensvertrag in einer absoluten Zahl angegeben werden. Auch müssen die Voraussetzungen für ein außergerichtliches Beschwerdeverfahren im Darlehensvertrag geregelt sein – ein bloßer Verweis auf eine Website, auf der sich der Verbraucher dann die formalen Voraussetzungen selbst zusammensuchen muss, sollen nicht ausreichend sein.
Der Generalanwalt hat auch zu der Frage der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs ausführlich Stellung bezogen. Danach soll der Widerruf grundsätzlich so lange möglich sein, bis alle gesetzlich vorgeschriebenen Informationspflichten seitens der Banken erfüllt sind. Daneben sei die Frage des Rechtsmissbrauchs alleine nach europarechtlichen Grundsätzen zu beantworten. Im Gegensatz hierzu hatte der BGH mehrfach entschieden, die Entscheidung, ob ein Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt worden sei oder nicht, sei alleine nach nationalem Recht zu beantworten. Auch hier muss sich die deutsche Rechtsprechung erklären, warum sie viele Widerrufsverfahren schon fast inflationär mit dem Hinweis auf die angeblich rechtsmissbräuchliche Ausübung des Widerrufsrechts abgewiesen hat. Und das, ohne die europarechtlichen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs auch nur ansatzweise zu prüfen.
„Man muss sich die Frage stellen, warum die Mehrzahl der deutschen Gerichte europarechtlich zu klärende Rechtsfragen trotz ausführlicher Begründung durch Verbraucheranwälte nicht an den EuGH zur Beantwortung vorgelegt haben. Ganz im Gegenteil: die Verfahren wurden oft ohne mündliche Verhandlung als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Doch wie kann ein Verfahren als offensichtlich unbegründet zu Gunsten der Bankenwirtschaft entschieden werden, wenn die Möglichkeit des europäischen Rechts, Zweifelsfragen dem höchsten europäischen Gericht vorzulegen, trotz ausführlicher Begründung und Anträge durch Verbraucheranwälte nicht genutzt wird. Man könnte schon fast von einer methodischen und zielgerichteten Umgehung des EuGH und des Verbraucherschutzes sprechen, wenn man die Urteile deutscher Gerichte mit dem Inhalt der Schlussanträge des Generalanwalts vergleicht.
Denn selbst nachdem bekannt wurde, dass dem EuGH diverse Rechtsfragen durch das Landgericht Ravensburg wegen bestehender Zweifel an der Reichweite und Auslegung des Europarechts vorgelegt wurden, sahen die allermeisten Richter keinen Grund, ihre Entscheidungspraxis anzupassen. Tausenden Anträgen, laufende Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH auszusetzen, folgten die Gerichte schlichtweg nicht. Spätestens jetzt nach der Veröffentlichung der Schlussanträge, können die Gerichte diese Entscheidungspraxis nicht mehr aufrechterhalten – die Zeit, in der die (juristischen) Augen verschlossen wurden, um die Rechtsprechung des BGH zu stützen, sind vorbei.
Sollte der EuGH am 09.09.2021 inhaltlich dem Generalanwalt und seinen Schlussanträgen folgen, wären nahezu alle deutschen Autokreditverträge fehlerhaft.“
Rechtsanwalt Dirk Sinnig
Verbraucher, die ihr Auto nach dem 10.06.2010 mit einem Darlehen finanziert haben, sollten ihren Vertrag jetzt schnellstmöglich überprüfen lassen. Da die Verträge der Autobanken größtenteils den gleichen Inhalt haben, ist davon auszugehen, dass die Verträge nahezu aller Autobanken an den gleichen rechtlichen Fehlern leiden.
Sie können uns gerne Ihre Finanzierungsunterlagen zur Prüfung zulassen kommen. Die Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig bietet eine kostenlose und unverbindliche anwaltliche Ersteinschätzung an. Sollte Ihr Vertrag widerrufbar sein, informieren wir Sie über die mögliche weitere Vorgehensweise und unterstützen Sie, im Falle einer Mandatierung, bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche.