73.000 km kostenlos gefahren. Urteil im Abgasskandal gegen Volkswagen
Nächstes Urteil im Abgasskandal. Eine Klägerin fährt 73.000 km kostenlos Auto und erhält zusätzlich 3.500 EUR. Das Landgericht Kassel sagt zudem, dass die geschädigte VW Kundin keinen Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer schuldet.
Das Landgericht Kassel hat in einem von der Kanzlei Dr. Lehnen & Sinnig geführten Verfahren gegen die Volkswagen AG vom 04.09.2019 (Az. 8 O 2320/18) einer geschädigten Autofahrerin – soweit ersichtlich erstmalig – das rechtliche Maximum an Schadensersatz zugesprochen.
In dem Verfahren vor dem Landgericht hatte die Besitzerin eines VW Touran geklagt. Nachdem sie das Fahrzeug im August 2015 zu einem Kaufpreis von 21.470 EUR und einer Laufleistung von 5.537 km gekauft hatte, reichte sie im Dezember 2018 unter Zuhilfenahme einer auf den Abgasskandal spezialisierten Kanzlei Klage beim Landgericht Kassel ein. Zwischenzeitlich hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 79.264 km. Neben der Rückzahlung des vollständigen Kaufpreises forderte die Klägerin auch dessen Verzinsung ab dem Zeitpunkt der Kaufpreiszahlung in Höhe von 4% pro Jahr. Das Landgericht gab der Klägerin jetzt Recht.
Volkswagen AG hat vorsätzlich sittenwidrig getäuscht
Die Klägerin sei durch die Volkswagen AG und deren Mitarbeiter vorsätzlich sittenwidrig getäuscht worden, urteilten die Kasseler Richter. Die im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Abgassoftware sei alleine zu dem Zweck eingebaut worden, die Abgaswerte des Dieselmotors zu beschönigen und in der Folge dafür zu sorgen, dass der Motor trotz des Überschreitens der gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte eine Euro-5-Zulassung erhalte. Durch das Verhalten der Volkswagen AG sei der Klägerin auch ein Schaden entstanden. Die sittenwidrige Handlung der Beklagten habe dazu geführt, dass die Klägerin bei dem Kauf des streitgegenständlichen Pkw von falschen Vorstellungen ausgegangen sei. Unschädlich sei, dass die Klägerin an ihrem Fahrzeug zwischenzeitlich ein Software-Update habe aufspielen lassen.
Volkswagen muss Kaufpreis plus Zinsen zurückzahlen
„Außergewöhnlich an dem Urteil des Landgerichts Kassel ist, dass sich die Klägerin nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss.“
Erläutert Rechtsanwalt Dirk Sinnig, der das Verfahren vor dem Landgericht Kassel geführt hat.
„Eine Kompensation für die nach Kauf gefahrenen 73.727 Kilometer schuldet die Klägerin demnach nicht.“
Nach Ansicht der Richter sei es als paradox anzusehen, wenn derjenige Autohersteller, der vorsätzlich gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen hat, ausgerechnet aus Billigkeitsgründen von einem Teil seiner Schadensersatzhaftung wieder frei würde, indem der geschädigte Autokäufer einen Nutzungsersatz für die gefahrenen Kilometer leisten müsste.
„Das Urteil des Landgerichts Kassel ist nicht mehr als gerecht. Es ist dem geschädigten Autobesitzer auch nur schwer zuzumuten, dass der schädigende Hersteller trotz der bewussten Abgasmanipulation auch noch eine Kompensation für die Nutzung des manipulierten Fahrzeugs erhält.“
Fährt Rechtsanwalt Sinnig fort.
Für die Klägerin ist das Verfahren vor dem Landgericht Kassel im Ergebnis ein voller Erfolg. Neben dem Kaufpreis in Höhe von 21.470 EUR, ergibt sich aus dem Urteil ein Zinsbetrag aus der Verzinsung des Kaufpreises in Höhe von ca. 3.500 EUR.
Selber klagen oder doch lieber Musterfeststellungsklage?
Das Urteil des Landgerichts Kassel zeigt, dass sich ein Individualprozess gegen den Volkswagen Konzern, aber auch gegen andere Hersteller, die in den Fahrzeugen für ihre Kunden illegale Abschalteinrichtungen verbaut haben (z.B. Mercedes Benz) zeitlich, aber auch finanziell, lohnen kann.
Das überaus positive Urteil des Landgerichts Kassel sollte Autofahrern, die ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenes Fahrzeug besitzen, Mut machen, bestehende Schadenersatzansprüche anwaltlich prüfen und gerichtlich durchsetzen zu lassen. Bestand zum Zeitpunkt des Autokaufs eine Verkehrsrechtsschutzversicherung, ist eine Rechtsverfolgung in den meisten Fällen auch ohne eigenes wirtschaftliches Risiko möglich.
Das Individualklageverfahren gegen den Automobilhersteller ist insbesondere auch für diejenigen Autobesitzer interessant, die sich wegen der Manipulation des VW Motors EA189 zwar in das Klageregister zur Musterfeststellungsklage gegen VW eingetragen haben, zum Zeitpunkt des Autokaufs jedoch verkehrsrechtsschutzversichert waren.
Denn das Musterverfahren wird sich nach Meinung von Experten über mehrere Jahre, wahrscheinlich bis ins Jahr 2023, hinziehen. Hinzu kommt, dass das Verfahren vor dem als VW-freundlich bekannten OLG Braunschweig geführt wird.
Selbst wenn in dem Musterverfahren dann zugunsten der Autofahrer entschieden wird, muss jeder Betroffene seine konkreten Schadensersatzansprüche im Anschluss an das Sammelverfahren trotzdem in einem eigenen Prozess durchsetzen. Ob nach Abschluss eines solchen „Kaugummi-Verfahrens“ noch ein wirtschaftlicher Vorteil aus dem Schadensersatzprozess gezogen werden kann, ist fraglich, insbesondere weil man das Fahrzeug zu diesem Zeitpunkt vielleicht gar nicht mehr im Besitz hat.
„Die betroffenen Autobesitzer sollten daher darüber nachdenken, sich eventuell nach erfolgter Prüfung durch einen Rechtsanwalt aus dem Klageregister in Braunschweig abzumelden. Dies ist noch bis zum Abend des 30.09.2019 möglich. Das Bestehen von Schadensersatzansprüchen gegen Volkswagen oder andere Automobilhersteller sollte in jedem Einzelfall anwaltlich geprüft werden. Hier verbieten sich Pauschalaussagen, da jeder Sachverhalt zu einer unterschiedlichen rechtlichen Bewertung führen kann. Den betroffenen Autobesitzern ist daher anzuraten, sich an spezialisierte Anwälten zu wenden.“
Führt Rechtsanwalt Sinnig aus.
Anwaltliche Hilfe – Jetzt Schadensersatzansprüche im Abgasskandal prüfen lassen
Die Rechtsanwaltskanzlei Dr. Lehnen & Sinnig ist eine der führenden Kanzleien auf dem Gebiet des Abgasskandals und des Autokredit- / Leasingwiderrufs. Die spezialisierten Anwälte vertreten bundesweit die Interessen von Verbrauchern. Für Schlagzeilen sorgte die Kanzlei neben dem Urteil aus Kaiserslautern auch mit dem ersten obergerichtlichen Urteil gegen die Volkswagen AG vor dem Oberlandesgericht Köln.
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